U Catenacciu oder die Kreuztragung Christi

Zweifellos die spektakulärste prozession Korsikas, die sie mindestens einmal miterlebt haben sollten:

U Catenacciu ©ATC U Catenacciu ©ATC
Während der Karwoche spielt sich in den steilen Gassen von Sartène die „Catenacciu“-Prozession ab, mit dem „enchaîné“, dem Kettenträger. Diese religiöse Veranstaltung ist die bekannteste und beeindruckendste Karfreitagsprozession. Ihre Tradition reicht ins 18. Jahrhundert zurück. Die Zeit scheint hier stillzustehen: Der Büßer trägt eine Maske, Fußketten (17 kg schwer) und ein 37 kg schweres Holz aus massiver Eiche. So legt er einen 1,8 km langen Fußmarsch durch die Stadt zurück. Jede Gasse und jeder Weg entsprechen genau einer Etappe des Kreuzwegs Jesu Christi.

Schon seit langem träume ich davon, diese Prozession mitzuerleben. Auf den guten Rat meines Freundes Christophe Mondoloni hin, habe ich mich nun endlich entschlossen, hinauf nach Sartène zu fahren – und zwar am Donnerstag vor dem „Catenacciu“.

  Er empfehlt mir nämlich die Gründonnerstagsprozession, die seiner Meinung nach „intimer“ ist. Für mich ist das die Gelegenheit, die Wege, die der Büßer beschreitet kennenzulernen. Ich folge den Markierungen und lasse die Atmosphäre des Dorfes auf mich wirken. Ich beobachte die Vorbereitungen und lausche einigen Anekdoten. So erfahre ich beispielsweise, dass der Büßer drei Tage vorher „in einer Zelle des Klosters San Damianu eingesperrt ist, wo er meditiert, in der Bibel liest und betet“.

 

Um 18 Uhr begebe ich mich zur Messe in die Kirche Santa Maria und um 21 Uhr besuche ich die „Procession des Sartenais“.

Ich kann diese „intimere“ Atmosphäre dieser Prozession nachempfinden: Hier herrscht eine andächtige Stimmung und die Menschen drängen sich nicht so sehr. Das ist „die Ruhe vor dem Sturm“, auch wenn der Aufstieg hoch zum Gebet bei der Kirche San Damianu auch sehr lang und anstrengend ist. 

Am Karfreitag um 21 Uhr habe ich die Ehre, im Inneren der Kirche Santa Maria der Ankunft und den Vorbereitungen des Büßers beizuwohnen. Ein Mann, der Büßer, zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich, auf seinem Weg der Buße.

Sofort kommen mir die Liedtexte von „Le porte croix“ (der Kreuzträger) von Antoine Ciosi in den Sinn: „Die Füße rot von Blut, schreitet er langsam voran, der Kreuzträger ... Lassen Sie den Büßer mit seinen Sünden vorbeiziehen ...“ – ein Text, dem schnell das „Miserere“ und „Perdono mio“ sowie andere, vereinzelte Laute der Ketten auf dem Kopfsteinpflaster von Sartène folgen. Diese Geräusche bleiben mir noch zwei Tage lang im Ohr. Der Büßer fällt drei Mal unter der Last des Kreuzes und der Ketten, die er am rechten Knöchel trägt, nieder. Insgeheim stellt man sich immer wieder die Frage: „Wer ist wohl dieser Catenacciu?“ „Welche schweren Sünden hat er begangen?“ Fragen, die unbeantwortet bleiben. Was bleibt, sind reine Spekulationen, wie „Ich denke, es ist ... “. Nur der Priester von Sartène kennt den Büßer, der durch das Geheimnis von San Damianu geschützt ist.

Der Auftritt des Catenacciu ist beeindruckend: zum einen aufgrund der Stille, die ihn begleitet, zum anderen aber auch der Moment, in dem ihm vor dem Altar die Ketten angelegt werden. Die Mitglieder der Bruderschaft formen ein Spalier um die Büßer, die Tore öffnen sich. Etwa eintausend Menschen drängen sich dort in der Erwartung, „ihn zu sehen“. In diesem Moment spüre ich die Inbrunst und die Leidenschaft, die diese Prozession begleiten. Aber auch für mich wird es wie ein „Kreuzweg“ sein, diesen Büßer auf seinem Weg zu folgen. Zum ersten Mal fällt er vor der Kapelle Sainte-Anne. Sie war im 18. Jahrhundert die Pfarrkirche von Sartène.

Die ganze Stadt rezitiert das „Vaterunser“ und „Gegrüßet seist Du Maria“, während der Büßer am Boden liegenbleibt. Der zweite Fall ereignet sich an der Place Porta, zu Fuße der Kirche Sainte-Marie. Auf halber Wegstrecke wird der „Catenacciu“ vom weißen Büßer von seiner Last befreit. Vor dem dritten Fall und der Rückkehr zu Sainte-Marie hält die Prozession an der Kirche Saint-Sébastien.

Der „Catenacciu“ sammelt sich und betet kniend vor dem Altar. Unter dem Altar befindet sich ein liegender Christus und eine in Schwarz gehüllte Jungfrau. Nach dem dritten und letzten Fall erreicht der Büßer wieder die Pfarrkirche. Ich habe das Glück, den Catenacciu von der hochgelegenen Terrasse eines benachbarten Hauses aus zu sehen und die Menge zu beobachten, die andächtig der Ansprache des Priesters lauscht.

Anschließend betreten alle wieder die Kirche Sainte-Marie um sich dort zu versammeln. Der Büßer kniet oder liegt vor dem Altar und wartet darauf, dass alle Pilger den liegenden Christus geküsst haben. 

Erleben Sie diesen emotionalen Moment auf Video in unserem YouTube-Kanal.

Further information

Wenn Sie noch mehr erfahren möchten, empfehle ich Ihnen das Buch „U catenacciu di Sartè – l‘enchaîne de Sartène“ von Christophe Mondolini, das in französischer Sprache im Colonna Verlag erschienen ist.

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